Was muß ein Bühnenbild können?

Eine seltsame Frage, könnte man meinen. Das Bühnenbild steht doch einfach nur da! Ist also "Es soll nicht umfallen!" die Hauptforderung an die Dekoration? Tatsächlich ist das eine wichtige Eigenschaft, die ein Bühnenbild haben sollte. Wenn man genauer darüber nachdenkt, merkt man schnell, daß ein gutes Set noch einige andere Bedingungen erfüllen muß. Bevor wir mit der Planung des Bühnenbildes anfangen können, sollten wir uns darüber klar werden, was die Konstruktion leisten muß.

Einige der Anforderungen sind von den Gegebenheiten der Bühne, des Stücks und der Truppe abhängig. Andere Bestandteile des "Lastenhefts" ändern sich nie und sollten in jedem Fall beachtet werden. Manche der Forderungen schließen sich gegenseitig aus - oft muß man Kompromisse schließen. Abgesehen von den schon angesprochenen Zeit- und Kostenfaktoren und dem grundsätzlichen Anspruch, daß der Set natürlich gut aussehen soll, ergibt sich folgende Aufstellung von primären und sekundären "Tugenden", über die ein Bühnenbild verfügen sollte.

So viel muß sein...

Hier ist zunächst eine Liste der wichtigsten, essentiellen Eigenschaften jedes Bühnenbilds. Es geht hier um grundlegende Fragen der Aesthetik und besonders der Sicherheit.

Es soll den Bühnenraum in drei Dimensionen gliedern.

Eine kleine Animation

Eine Bühne ist meist ein Kasten, der auf fünf Seiten geschlossen ist. Die sechste Seite ist offen und erlaubt dem Publikum hineinzusehen. Daß man die Breite dieses Kastens irgendwie strukturieren muß, ist intuitiv klar. Ein gutes Bühnenbild hat jedoch auch Tiefe und bietet - was leicht übersehen wird - eine Gliederung in der Höhe. Ein Bühnenbild, das in zwei Meter Höhe endet, wirkt schnell langweilig, besonders wenn der Bühnenraum selbst vier Meter hoch ist. Natürlich kann ein 'flaches' Set auch einmal gewünscht sein, aber im Normalfall sollten wir eine Gliederung der Vertikalen anstreben.

Es soll stabil stehen.

Nichts ist peinlicher für die Bühnenbildner, als wenn ihr Set während der Vorstellung zusammenbricht. Schon allein aus diesem Grund sollten wir uns bemühen, eine stabile Konstruktion hinzustellen - von der Gefährdung von Schauspielern und Zuschauern einmal ganz abgesehen. Stabil bedeutet in diesem Kontext nicht allein, daß die Bauten nicht unter ihrem eigenen Gewicht in sich zusammenfallen - der Set muß auch schauspielersicher sein!

Nichts gegen Schauspieler - einige meiner besten Freunde sind Schauspieler - aber seien wir ehrlich: Schauspieler rempeln gegen Kulissen; sie bleiben mit ihren Kostümen an Wänden hängen; schlagen Bühnentüren zu, als wären es echte Türen; lehnen sich gegen Wandelemente, als wären es echte Wände; sie halten sich an Vorhängen fest. Es hilft nichts, den Schauspielern ins Gewissen zu reden - einige werden es im Eifer der Vorstellung trotzdem tun. Unser Bühnenbild muß gegen solche Anschläge gewappnet sein und ihnen bis zu einem gewissen Punkt trotzen können!

Es soll die SchauspielerInnen keinen zusätzlichen Verletzungsgefahren aussetzen.

Unfälle auf der Bühne werden immer passieren - aber man muß ihnen nicht noch Vorschub leisten! Das bedeutet, daß wir darauf achten müssen, keine vorstehenden Schrauben oder Nägel zu hinterlassen. Auch Stolperfallen in Form von kleinen Stufen oder Verstrebungen sind ein steter Quell von Ärger. Man darf nicht vergessen, daß während einer Vorstellung verschärfte Bedingungen gelten: Die Schauspielerinnen und Schauspieler denken an ihren Text, an die Choreographie, an die Stichworte, an alles mögliche - nur nicht daran, daß sie aufpassen sollen, wo sie hintreten. Gibt es Umbauten, so ist währenddessen das Licht meist sehr gedämpft, was zusätzliche Risiken mit sich bringt. Am besten bauen wir so, als wären unsere "Kunden" blind.

Es soll möglichst schwer entflammbar sein!

Theater, nicht brennbar. Ist trotzdem kaputt.

Römer und Griechen hatten wenig Probleme mit Feuer im Theater: Ihre Bühnen waren aus Stein und Bühnenbilder hatten sie auch nicht. Spätestens seit Beginn der Neuzeit hat es jedoch immer wieder in Theatern gebrannt. Shakespeares Globe Theatre brannte während einer Vorstellung von Henry VIII ab - und es war weder das erste noch das letzte Schauspielhaus, das diesem Schicksal erlag.

Wir verwenden heute während der Vorstellung (hoffentlich!) keine Feuerwerke und Kanonen mehr, wie Shakespeare es tat. Auch gibt es keine Beleuchtung mehr, die mit offenem Feuer arbeitet, wie im 18. und 19. Jahrhundert. Dennoch bleiben genug Risiken übrig - insbesondere arbeiten einige RegisseurInnen immer wieder gern mit brennenden Zigaretten und echten Kerzenleuchtern auf der Bühne... Man sollte auch nicht unterschätzen, wie heiß schon so ein kleiner 500 Watt Strahler wird.

Für uns bedeutet das, daß unsere Werke immer einen gehörigen Sicherheitsabstand zur Beleuchtung einhalten müssen. Weiterhin müssen wir bei der Auswahl der Materialien darauf achten, daß sie nicht allzu leicht zu brennen beginnen. Ein absolut unbrennbares Bühnenbild läßt sich nicht realisieren - wir können schließlich nicht nur mit Stein arbeiten! Oft genug gibt es aber Möglichkeiten, die Risiken zu minimieren. Wenn du, lieber Leser, jetzt denkst: "Ach was, so schnell wird mein Theater nicht brennen!", dann überlege dir mal folgendes: Um eine Katastrophe auszulösen, muß sich die Bühne nicht unbedingt in ein flammendes Inferno verwandeln - es genügt, wenn ein Vorhang zu schwelen beginnt und so eine Panik auslöst... Dieses Problem sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen!

Darf's ein bißchen mehr sein?

Oft werden auch noch weitere Anforderungen an das Bühnenbild gestellt. Anders als die obenstehenden Punkte sind sie jedoch nicht universell gültig, sondern hängen von Stück, Bühne und weiteren Gegebenheiten der Produktion ab.

Es soll Auf- und Abgänge ermöglichen.

Es ist schon erstaunlich, wieviel vom Zauber des Theaters allein von dem alten Kasperle-Konzept "Jetzt ist er da - jetzt ist er weg - jetzt ist er wieder da!" abhängt. Schauspieler treten auf und gehen ab - und unser Bühnenbild muß dafür die Voraussetzungen schaffen. Das bedeutet, daß wir an den Rändern der Bühne - manchmal auch in der Mitte - verdeckte Ein- und Ausgänge vorsehen müssen. Welche und wieviele Auftrittsmöglichkeiten notwendig sind, hängt vom Stück und den Vorstellungen der Regie ab.

Es soll bei einem Szenenwechsel schnell und leicht umzubauen sein.

Umbauten funktionieren selten so, wie man sich das vorgestellt hat: Je komplizierter der Szenenwechsel, desto größer die Wahrscheinlichkeit, daß irgendetwas schiefgeht. Insbesondere wenn die Schauspielerinnen und Schauspieler als Helfer zwangsverpflichtet werden, kommt es immer wieder zu Pannen. Kein Wunder, die Jungs und Mädels denken schließlich über ihre Auftritte und Zeilen nach und nicht darüber, ob die Kulissen richtig stehen. Je einfacher der Umbau von seiner Anlage her ist, umso eher wird er auch klappen. Wenn also ein Umbau notwendig ist, sollte unser Bühnenbild möglichst aus wenigen Teilen bestehen, von denen jedes einzelne von einer oder höchstens zwei Personen zu bewegen ist. Wenn einzelne Segmente von der Bühne heruntergeschafft werden müssen, empfiehlt es sich, vor Beginn der Arbeiten auch die Türen zu vermessen, durch die die Teile nachher passen müssen...

Es soll sich nach der Produktion auf kleinem Raum verstauen lassen.

Es ist schade, wenn ein gelungenes Bühnenbild nach Abschluß der Produktion unverzüglich in die Tonne wandern muß, weil einfach kein entsprechend großer Lagerraum zur Verfügung steht. Besonders ärgerlich wird es, wenn eine Wiederaufnahme daran scheitert, daß die Kulissen schon verschrottet sind, oder wenn man für das nächste Stück schon wieder eine Tür, ein Fenster oder einen Kamin benötigt, die man dann neu bauen darf. Andererseits macht es wenig Sinn, die Trümmer einer Dekoration aufzubewahren, die sich nicht mit vertretbarem Aufwand restaurieren läßt. Wir sollten also schon beim Entwurf darauf achten, daß sich das Bühnenbild einfach in möglichst flache Einzelteile zerlegen läßt, die platzsparend stapelbar sind. Das vereinfacht auch den Transport.

Es soll für eine Tournee oder Gastauftritte transportabel sein.

Das transportable Bühnenbild...

Hier gelten ähnliche Kriterien wie bei den Umbauten oder beim Lagern des Bühnenbilds. Wenn vorher bekannt ist, daß Gastauftritte vorgesehen sind, sollten wir den Set darauf abstimmen, daß er leicht in einen Transporter paßt. Da man vorher selten sicher weiß, wie die räumlichen Gegebenheiten der fremden Bühnen genau aussehen, empfiehlt es sich, die Einzelteile eher klein zu halten. Wenn man es mit einer sehr kleinen Bühne zu tun bekommt, macht man sich besser auch Gedanken darueber, ob man die Kulisse nicht skalierbar einrichtet. Das heißt, man überlegt sich vorher, welche Segmente man überhaupt mitnehmen möchte und achtet darauf, daß sie auch ohne den Rest der Dekoration funktionieren und gut aussehen.

Es soll in mehreren Ebenen bespielbar sein.

In der dramatischen Literatur sind Szenen auf Balkons, Burgmauern, Hügeln oder Treppen keine Seltenheit. Wenn die Bühne hoch genug ist, ergeben erhöhte Spielflächen immer einen schönen Effekt, da ein Spiel auf mehreren Ebenen dem Auge einfach mehr bietet. An die Stabilität werden bei begehbaren Kulissen natürlich besondere Anforderungen gestellt. Umso wichtiger ist es, daß solche Konstruktionen exakt geplant sind, damit nicht am Ende kurz vor der Premiere mit wackligen Stapeln aus Stühlen und Bierkästen improvisiert werden muß. Je nachdem, ob die begehbare Fläche für das Publikum sichtbar ist oder nicht, können wir auf stabile Tische zurückgreifen oder müssen selbst etwas bauen. Mit etwas Gefühl für Statik ist das aber kein Problem.

Zu viel ist zu viel!

Zum Schluß sollte man noch festhalten, welche Eigenschaften ein Bühnenbild nicht besitzen muß.

Es muß nicht übermäßig detailliert sein.

Wir sollten uns immer vor Augen halten, für wen wir ein Bühnenbild bauen, nämlich für das Publikum. Wozu sollten wir dann etwas bauen, was der Zuschauer nachher nicht sieht? Die erste Sitzreihe ist selbst in kleinsten Theatern mindestens 1,5 Meter vom Bühnenbild entfernt - meist ist die Entfernung deutlich größer. Es hat also wenig Sinn, Zeit und Energie auf winzige Ornamente zu verschwenden. Unser Set muß von der ersten Reihe aus gut aussehen, aber nicht aus wenigen Zentimetern Entfernung. Plakative Wirkung heißt die Devise.

Es muß nicht für die Ewigkeit gebaut sein.

Es ist klar, daß unser Bühnenbild den Strapazen der Aufführung gewachsen sein muß. Das bedeutet aber nicht, daß wir die gleichen Anforderungen an die Haltbarkeit stellen sollten, die wir beispielsweise beim Bau einer Veranda oder eines Car Ports erheben würden. Holzschutzmittel sind hier also ebenso überflüssig wie teure, kratzfeste Lacke oder besonders hochwertige Materialien. Es empfiehlt sich für den Bühnenbildner ohnehin, einige Stunden vor jeder Aufführung sein Werk zu kontrollieren. Bei dieser Gelegenheit kann man auch gleich kleinere Schäden und Macken von der letzten Vorstellung ausbessern. In dieser Beziehung ähnelt ein Set einem Formel 1 Rennwagen: Der braucht auch nicht zehn Jahre ohne Wartung durchzuhalten, sondern nur zwei Stunden.

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